Olbrichs Tischleuchter in der alten Bildhauerei
- Der Museumsshop des UNESCO-Welterbe Mathildenhöhe Darmstadt-
Man könnte sagen: Diese alte Bildhauerwerkstatt ist einfach zu schön, um darin einen schnöden Museumsladen unterzubringen. Den aktiven Künstler*innen müssen doch die besten Arbeitsbedingungen gegeben werden. Dagegen lässt sich wenig einwenden. Nur das: Der Museumsshop des UNESCO-Welterbes Mathildenhöhe Darmstadt ist seit einem Vierteljahrhundert so perfekt mit dem Gebäude verschmolzen, dass er ein eigenes Kunstwerk geworden ist. Für letzte Weihnachtsgeschenke ist er ohnehin unschlagbar.
Museumsladen-Chefin Claudia Mc Daniel schließt eine massive Holztür auf. Die Laden-Tür ist von Backsteinen eingerahmt, die in Dunkelrot und Türkis gebrannt sind. Über der Tür ein helles Jugendstil-Relief mit einem nackten Paar - eine Frau und ein Mann - in einer Tanzbewegung. Gestaltet ist es von Heinrich Jobst, der von 1907 bis 1914 Mitglied der Darmstädter Künstlerkolonie war. Auch die Geometrie des Museumsshops ist ungewöhnlich:
„Es ist ein Oktogon und ursprünglich ein Bildhaueratelier.“
Deshalb fällt das Licht durch jedes der acht Oberlichter unter dem Dach in den nur 27 Quadratmeter kleinen Werkstattraum. Seit rund einem Vierteljahrhundert ist das frühere Atelier der Museumshop der Mathildenhöhe Darmstadt. Die Künstlerinnen- und Künstlerkolonie von der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert ist seit wenigen Monaten UNESCO-Weltkulturerbe:
„Ja, wir haben das ad-hoc gemerkt. Die Ausrufung des Welterbes und schon stiegen die Zahlen im Museumsshop.“
Auch innen prägt die achteckige Grundform des Gebäudes die Konzeption des Shops. Jede der acht Wände unter den Oberlichtern ist eine extra gestaltete Ausstellungfläche. In zwei Wänden sind Nischen, die es möglich machten, dort Vitrinen einzubauen. In der ersten Vitrine nahe der Eingangstür hat ein silberner Leuchter den zentralen Platz. Eine Zinn-Nachbildung eines bedeutenden Kunstwerks der Mathildenhöhe. Denn der Tischleuchter ist wie eine stark abstrahierte menschliche Figur gestaltet, die beiden Kerzenhalter sehen wie nach oben ausgestreckte Arme aus. Das ist weit weg von jedem floralen Jugendstil – der Leuchter dokumentiert die frühe Modere der Mathildenhöhe.
„Und das ist auch immer ein sehr schöner Ansatz für uns, solche Sachen hier im Museumsshop anbieten zu können.“
Geschaffen wurde das Objekt bereits 1901 vom Architekten und Designer Josef-Maria Olbrich, einem der Begründer der Künstlerkolonie. Der Leuchter, der im Museumshop angeboten wird ist die Zinn-Nachbildung einer Gießerei aus dem Saarland, die bereits für die erste Künstlerkolonie um 1900 produzierte. In der zweiten Vitrine wird Silberschmuck angeboten, der nach Motiven als dem Jugendstil und Art Deco gestaltet ist. Claudia Mc Daniel:
„Es begann eigentlich vornehmlich mit einer Ausstellung zum Jugendstilschmuck in Europa, die 2011 hier stattfand. Da wurde dann einfach das Sortiment ausgebaut, weil es einfach eine unheimlich große Nachfrage gab. Und seither ist das eigentlich ungebrochen, das ganze Sortiment wurde immer weiter ausgebaut. Jetzt können wir ganz viel anbieten und haben da auch eine alte Silbermanufaktur, die sich auf historische Modelle spezialisiert hat.“
Doch nicht nur Retro-Charme will der Museumsshop im Weltkulturerbe verbreiten. Deshalb ist eine Wand auch Katalogen aktueller Ausstellungen vorbehalten, die nicht nur auf der Mathildenhöhe stattfinden. So die diesjährige Open-Air-Ausstellung zu den Schwarz-Weiß-Fotografien der Darmstädter Zeitungsreporterin Hilde Roth – die ihre Fotos mit HIRO unterschrieb. Sie wurden in diesem Jahr vom Kunstforum der Technischen Universität Darmstadt in einem Privatkeller wiederentdeckt und an vielen Stellen im öffentlichen Raum der Stadt großflächig ausgestellt. HIROs Fotos geben einen einzigartigen zeitgeschichtlichen Einblick in das Alltagsleben der Stadt zwischen den 1950er und 1980 Jahren. Sie waren das zentrale kulturelle Gesprächsthema in diesem Jahr in Darmstadt. Claudia Mc Daniel:
„Das ist wirklich besonders. Ich habe ganz unvermittelt auf dem Friedensplatz die großen Aufsteller gesehen mit den Bildern von Hilde Roth und war wirklich auch begeistert.“
Also kamen der Katalog und auch eine Postkarten-Edition mit Fotos von HIRO in den Museumsshop. Eine weitere Besonderheit: Die Menschen, die tagtäglich im Museumshop arbeiten, machen das alle ehrenamtlich. Das bedeutet - der Verkaufserlös des Shops kommt der städtischen Kunstsammlung in Darmstadt zugute:
„Und das ist bereits seit 1996 hier im Haus. Und das ist wirklich eine ganz tolle Leistung hier vom Ehrenamt.“
Aber auch wer nichts kaufen will, um die Kunstsammlung zu fördern: Wer das Welterbe Mathildenhöhe besucht, sollte den Gang in die ehemalige Bildhauerei nicht versäumen. Bereits jetzt ist klar: Wenn das neue Besucherzentrum gebaut sein wird, wie es die UNESCO für Welterbe-Stätten vorschreibt, wird der Museumsshop wohl im Oktogon bleiben. Denn er ist mit seiner Gebäudehülle zu perfekt verschmolzen, um ihn umzuquartieren. Claudia Mc Daniel:
„Also im Moment ist die Information, dass wir hierbleiben. Und im Besucherzentrum, nehme ich an, dass da mehr über das Welterbe informiert wird.“
Auch über eine Wiederinbetriebnahme einer Bildhauerei im Oktogon sei bisher nie diskutiert worden, ergänzt die Laden-Chefin. Eine gute Nachricht für alle Fans des wohl schönsten Museumsshops in Südhessen. Der überdies für die letzten Weihnachtsgeschenke, die in Darmstadt gebraucht werden, schlichtweg unschlagbar ist.
Darmstadt brauchte schon lange einen Spaziergangswissenschaftler - oder eine Wissenschaftlerin. Nun gibt es ihn: Es ist Hans-Willi Ohl! Kongenial zeichnerisch begleitet von Ute Schäfer-Müller. "Man glaube nicht, dass Spazierengehen etwas Banales sei. In den 1980er Jahren hat der Schweizer Soziologe Lucius Burckhardt (1925-2003) sogar eine Spaziergangswissenschaft entwickelt, die er später Promenadologie nannte." (Hans-Willi-Ohl).
Die Promenadologie der Darmstädter Rosenhöhe legt nun im Frühjahr 2021 Hans-Willi Ohl vor.
Auf 90 sehr schön bebilderten und mit Illustrationen versehenen Seiten (Layout: Edgar Illert) erschließt er den - gerade in der Pandemie - immer zahlreicher gewordenen Rosenhöhen-Flaneur*innen in Darmstadt den Park am Ostrand der Stadt in den Bereichen "Literatur-Geschichte-Kunst- Natur".
Darf man das? Gabriele Wohmann mit wildem Haar? Das fragt sich die Illustratorin Ute Schäfer Müller. Die Antwort im "Rosenhöhen-Reiseführer" sieht so aus - im Buch natürlich schärfer - sorry:
Mehr als 20 Stationen beschreibt Ohl auf der Rosenhöhe - und liefert viel historischen Hintergrund. Die Wohmann lebte lange dort - das wusste man in Darmstadt vielleicht noch. Aber dass der Fotograf Albert Renger-Patzsch drei Jahre dort arbeitete - von 1922 bis 1925? Den Namen noch nie gehört? Na, fast allein deswegen lohnt sich der Griff zum Werk des Darmstädter Spaziergangswissenschaftlers. Denn: Der Bogen wird dort geschlagen von der Folkwang-Idee des Hagener Kunstsammlers Karl Ernst Osthaus auf die Rosenhöhe - dort hatte nämlich der "Folkwang-Verlag" zeitweise sein Domizil und Renger-Patzsch leitete das Bildarchiv des Verlages. Sein eigener künstlerische Durchbruch, erfahren wir von Hans-Willi Ohl, kam dann später. Die sehr schicke Geschichte mit den Bügeleisen verraten wir jetzt noch nicht - sie findet sich mit Foto im Buch auf Seite 61.
Auch dieses Bild wird nun noch nicht entschlüsselt - des Rätsels Lösung bietet das erste Werk des Darmstädter Spaziergangswissenschaftlers: "Hans-Willi Ohl: Meine Spaziergänge über die Rosenhöhe. Literatur-Geschichte-Kunst-Natur" 90 Seiten, 1. Auflage 2021, Darmstadt." Layout; Edgar Illert. Achtung: Begrenzte Auflage. Bei Interesse schnell Mail an: Hans-Willi Ohl: meissner-ohl@t-online.de